"Wer schützt uns Lehrerinnen und Lehrer?" Als Antwort erblicke ich meist nur grübelnde Gesichter. Und ganz klar ist: nur Lehrkräfte, die Sicherheit verspüren, können diese für ihre Schülerinnen und Schüler aufbauen. Doch was verstehen Sie unter Sicherheit? Denken Sie dabei an Schutz vor Gewalt? Oder an einen störungsarmen Unterricht, der diejenigen schützt, die lehren und lernen möchten? Gewalt, mangelnde Unterrichtsruhe, steigender Schulabsentismus, ständige Konflikte - auch zwischen Eltern und Lehrkräften - schwächen die Lernerfolge unserer Schülerinnen und Schüler und bringen uns Lehrkräfte an unsere Grenzen - und darüber hinaus. Aber was haben diese Gedanken mit dem Konzept der Neuen Autorität zu tun? Und letzlich mit Ihnen oder auch mit mir?
Nachfolgend einige auf Beobachtung und Erfahrung gestützte, sowie theoriegeleitete Gründe, die für die Umsetzung der Neuen Autorität sprechen.
Gewalt an Schulen
„Jeder fünfte Lehrer im Südwesten ist schon von Schülern beleidigt und gemobbt worden; körperliche Gewalt haben vier Prozent der Lehrer erlitten.“ (1) „54 Prozent der befragten Lehrer gaben an, von Vätern oder Müttern beleidigt worden zu sein“ (2) Die VBE-Studie von 2020 zeigt eine erneute Zunahme von Gewalt gegen Lehrkräfte. (3) Die Neue Autorität bietet eine konzeptionelle Stärkung der Lehrerinnen und Lehrer, Disziplin- und Gewaltprobleme werden auf breiter Ebene reduziert und Eltern wiederum als Verbündete gewonnen. In einer Studie konnte Omer zeigen, dass Schülerinnen und Schüler weniger Angst vor Gewalt haben und den Lehrkräften eine höhere Kompetenz im Umgang mit Gewalt zuschreiben. Aber auch die Gewalt von Lehrerinnen und Lehrern gegen Schülerinnen und Schülern ging zurück. Insgesamt wurde in der Studie eine Verbesserung der Atmosphäre festgestellt– letzteres wurde vor allem von den Eltern bestätigt. (4) Literaturangabe s.u.
Schulerfolg
Zentrale für erfolgreiches Lernen ist eine gute Beziehung zwischen Lehrenden und Lernenden (5). Unter Stress stehende Lehrkräfte sind jedoch weniger empathiefähig (6), und somit in ihrer Beziehungsgestaltung geschwächt. Die Neue Autorität wiederum stärkt die tägliche Handlungsfähigkeit der Lehrkräfte. Dies wirkt sich positiv auf ihr Stresserleben und ihre Beziehungsfähigkeit aus. Wirksamer Unterricht benötigt aber auch eine störungsfreie Klassenführung (7). Sowohl die Informationsaufnahme als auch deren Verarbeitung kann dann eben ungestört erfolgen. (8) Außerdem erhöht ein störungsfreier und auf guter Disziplin basierender Unterricht die echte Unterrichtszeit. (9) Auch unter diesem Aspekt kann der Ansatz der Neuen Autorität wertvolle Unterstützung leisten, da er wirksame Hilfen im Umgang mit Störungen und Disziplinproblemen gibt – sowohl präventiv als auch intervenierend. Gestützt wird diese These von den o.g. Befunden von Omer (s. Abschnitt Gewalt) sowie den Studien von Jones (10), der eine direkte Wirkung von Präsenz und Disziplin und somit den Einfluss auf die echte Lernzeit herstellen konnte. Literaturangabe s.u.
Motivation
Schulische Motivation hängt u.a. von drei psychischen Grundbedürfnissen ab: dem Bedürfnis nach Kompetenzerfahrung, nach sozialer Eingebundenheit und dem Bedürfnis nach Autonomie (11). Bauer zeigt auf, dass „Kinder ohne die Erfahrung verbindlicher persönlicher Beziehungen keine Motivation entwickeln können.“ (12) Beziehung und Autonomie werden durch den Ansatz der Neuen Autorität direkt unterstützt – die Kompetenzerfahrung im Verhaltensbereich auch. Ein weiterer positiv wirksamer Effekt auf sowohl die Lernmotivation als auch die erlebten Gefühle beim Lernen von Schülerinnen und Schülern ist in einer wirksamen Klassenführung zu sehen. (13) Das Konzept der Neuen Autorität gibt diesbezüglich entscheidende Impulse, die Sie in gängigen Konzepten der Klassenführung vergeblich suchen und das diese somit wertvoll ergänzt. Literaturangabe s.u.
Klassenführung
Als Führungskonzept eignet sich die Neue Autorität auch für Schulleitungen und stärkt diese.
„Lehrkräfte gehören zu den am stärksten vom Burnout-Syndrom betroffenen Berufsgruppen“ (14), hierbei ist der höchste Belastungsfaktor die immer schwieriger werdende Beziehungsgestaltung im Schulalltag (15). Weitere Belastungsfaktoren sind hoher Lärm oder Konfliktsituationen in den Klassen. (16) Lehrerinnen und Lehrer, so Hundeloh, weisen Burn-out-Quoten von 25 bis 80 Prozent auf. (17) Jede zweite Lehrkraft fühlt sich erschöpft. (18) Die Berufsgruppe der Lehrerinnen und Lehrer hat die höchste Frühpensionierungsquote im Bereich des öffentlichen Dienstes. (19) Aber auch Isolation und Einzelkämpfertum (20) sind starke Belastungsfaktoren. Als wichtige Schutzfaktoren gelten u.a. eine gute Vernetzung im Kollegium, eine gute Beziehung zwischen Lernenden und Lehrenden, sowie eine gute Handlungsfähigkeit im Umgang mit Stressoren (21). Beziehungsgestaltung, Bündnisse und der Erhalt der Handlungsfähigkeit sind zentrale Ansatzpunkte des Konzeptes der Neuen Autorität und können somit einen wertvollen Beitrag zur Gesundheit von Lehrerinnen und Lehrern leisten. Auch diese Überlegungen werden zumindest teilweise von den o.g. Befunden gestützt, da man annehmen kann, dass sich die nachgewiesene Gewaltreduzierung, Stärkung der Lehrerinnen und Lehrer sowie die verbesserte Schulatmosphäre auch auf die Lehrergesundheit auswirken. Literaturangabe s.u.
Dis-Engagement und Innere Kündigung
21-25 % aller Lehrkräfte gelten als dis-engagiert, 6-8 % haben innerlich gekündigt (Innere Kündigung im strengeren Sinn) (22). In Schulleitungen haben 3,8 % innerlich gekündigt (23), bei Schülerinnen und Schülern sind es knapp 14 % (24). Die Gründe für IK bei Lehrkräfte sind u.a.: unpassendes Führungsverhalten von Schulleitungen, problematisches Verhalten von Schülerinnen und Schülern, hohe externe Erwartungen oder auch das gesellschaftliche Bild von Lehrkräften. Erfahrungen von Kontrollverlust und Misserfolgen sind ebenfalls einflussreich. Hinzu kommen die Isolation durch Einzelkämpfertum oder enttäuschte Erwartungen im Kollegium (25). Auch bei Schulleitungen liegen gewichtige Ursachen für IK, besonders auf der Beziehungsebene zu ihrem Kollegium (26). Bei Schülerinnen und Schülern wiederum gilt die Beziehungsebene zu ihren Lehrkräften als ausschlaggebend (27). Die Neue Autorität wirkt diesen Gründen der IK als bindungsorientiertes, gewaltfreies, auf Präsenz basierendes Führungskonzept effektiv entgegen. Literaurangabe s.u.
Prävention und Intervention
Viele schulische Behörden und Unterstützungssysteme unterscheiden streng nach Prävention, Intervention und Fallbesprechungen. In der Praxis bedeutet dies, dass es getrennte Beratergruppen für diese drei Bereiche gibt. Für uns Praktiker, Praktikerinnen hat dies im realen Schulalltag entscheidende Nachteile, da schwierige Situation nicht zusammen gedacht werden können. Die Neue Autorität führt Intervention und Prävention zusammen, denn es gilt: eine gute Intervention ist eine sehr gute Prävention. Außerdem erhalten Sie starke Elemente eines Schutzkonzeptes - sowohl für Lehrerinnen und Lehrer als auch für Schülerinnen und Schüler. In meinen Fortbildungen unterstützte ich die Kolleginnen und Kollegen durch anwendungsbezogene, praktische Fallbesprechungen.
Literatur
(1) Giertz 2016
(2) Giertz 2016)
(3) VBE 2022
(4) vgl. Omer u.a. 2006, S. 103-119
(5) vgl. Zierer 2016, S. 77f; vgl. Hattie 2017, S.28 und S. 276; vgl. Rees, 2012/13; vgl. Rees, 2013/14; vgl. Joachim Bauer 2008: S. 7-25
(6) vgl. Bauer / Schnabel 2010
(7) vgl. Trautwein / Sliwka / Dehmel 2018, S. 9
(8) vgl. Trautwein / Göllner / Fauth / Stürmer 2018, S.9
(9) vgl. Trautwein / Göllner / Fauth / Stürmer 2018, S.9
(10) vgl. Jones 2000, S. 232f und 266f
(11) vgl. Schiefele U. / Kölller, O. 2001, S. 306f vgl Prenzel u. a. 1996, S 108-127
(12) Bauer 2008, S. 7
(13) vgl. Trautwein / Göllner / Fauth / Stürmer 2018, S.12
(14) vgl. Bauer 2009, S. 251
(15) vgl. Bauer 2009, S. 251f
(16) vgl. Trautwein / Göllner / Fauth / Stürmer 2018, S.12f
(17) vgl. Hundeloh 2012, S. 23f
(18) vgl. Lungershausen, 2018, S. 15
(19) vgl. Hundeloh 2012, S. 22
(20) vgl. Omer / von Schlippe 2010, S. 176 u. 182
(21) vgl. Trautwein / Göllner / Fauth / Stürmer 2018, S.13
(22) vgl. Schmitz, Edgar / Voreck, Peter 2011, S. 122
(23) vgl. Schmitz, Edgar / Voreck, Peter 2011, S. 123
(24) vgl. Schmitz, Edgar / Voreck, Peter 2011, S. 336
(25) vgl. Schmitz, Edgar / Voreck, Peter 2011, S. 133-172
(26) vgl. Schmitz, Edgar / Voreck, Peter 2011, S.323
(27) vgl. Schmitz, Edgar / Voreck, Peter 2011, S.342 u. 357
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